Ist E-Voting erst in 10 Jahren sicher? oder: Wie Schlagzeilen entstehen
Vier ParlamentarierInnen aus der jüngeren Generation und aus vier verschiedenen Parteien haben letzten Montag den Medien zwei Motionen vorgestellt, welche zu mehr Vorsicht beim E-Voting mahnen. Das wurde nun in 20 Minuten zu einer irreführenden Schlagzeile verdichtet.
Erfreulicherweise war das Interesse der Medien an den Vorstössen gross. Auch 20 Minuten hat mich angefragt und danach einen grösseren Beitrag online gestellt. Meine Zitate wurden mir wie vereinbart vorher zugemailt und ich konnte mein OK geben. Der Artikel ist recht ausführlich, informativ und lesenswert.
Heute morgen in früher Morgenstunde lachte mir dann aus der gedruckten 20 Minuten Ausgabe ein netter Herr entgegen, den ich – allerdings nicht so frisch – noch kurze Zeit zuvor auch im Spiegel meines Badezimmers gesehen hatte. Über seinem Konterfei prangte als Schlagzeile das Zitat “E-Voting ist erst in 10 Jahren sicher”.
Uups. Hatte ich da gestern Zitate freigegeben, an die ich mich nicht mehr erinnerte? Kaum. Denn ich weiss ja selbst: Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Und in der Informatik, wo schon zwei drei Jahre riesige Umwälzungen bringen können, gilt das ganz besonders. Und andererseits, wenn ich dieser Meinung wäre, dass erst in 10 Jahren sichere Systeme möglich sind, dann hätte ich klipp und klar einen Totalabbruch der Übung E-Voting gefordert. Was ich ja nicht tue.
Im Text sieht man dann aber die Quelle des Zitats. Experte Niklaus Ragaz wird dort nämlich wie folgt in indirekter Rede zitiert:
Es gebe mehrere Fälle, in denen es gelungen sei, in E-Voting-Systeme einzudringen und die Ergebnisse zu manipulieren. Nach Schätzungen von amerikanischen Experten dauere es noch mindestens zehn Jahre, bis eine elektronische Stimmabgabe ohne Manipulationsgefahr möglich sei.
Daraus hat dann – so nehme ich mal an – ein gestresster Mensch auf der Abschlussredaktion oder im Layout das knackige Quote gebastelt und – merci, no news is bad news ;-) – mit meinem Konterfei illustriert.
Ich kann die werten LeserInnen meines Blogs nur versichern: Nein, ich habe im Gegensatz zu diesen amerikanischen ExpertInnen keine Kristallkugel, welche Informatik-Entwicklungen für ein Jahrzehnt voraussehen kann. Und ich bin weiterhin der Meinung, dass sichere E-Voting-Systeme theoretisch möglich und praktisch realisierbar sind. Gleichzeitig glaube ich, dass es unverantwortlich ist, Systeme mit bekannten Schwachstellen und Systeme, deren Source Code nicht veröffentlicht ist, weiter zu betreiben. Zumindest für die elektronische Stimmabgabe in der Schweiz dürfen nur Systeme zugelassen werden, die den neusten Anforderungen genügen und sowohl die individuelle Verifikation jeder Stimmabgabe durch den oder die AbstimmendeN ermöglichen als auch die Verifikation des Gesamtresultats – und dies, ohne dabei das Stimmgeheimnis zu verletzen.
No Comment »
Kommentar schreiben
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Lieber Balthasar
Offensichtlich ist Dein Badezimmerspiegel manipuliert. War Herr Niklaus Ragaz vielleicht einmal bei Dir zu Besuch?
Wie Du mir auch schon einmal geschrieben hattest: nichts ist sicher, ausser dem Tod! (Aber auch über dieses Statement könnten wir stundenlang philosophieren)
Ist der Gripen sicher? Könnte er eventuell gegen mich eingesetzt werden, falls ich einmal eine andere Meinung vertreten sollte als die Mehrheit in Bern? Falls wir ihn nicht kaufen, dann sinkt diese Möglichkeit um einige Prozentpunkte.
Du siehst, dass eine gesunde Portion Skepsis den Gesetzgebern gegenüber die Gehirnzellen (hoffentlich) etwas in Bewegung hält.
Fremde sind überall fremd, ausser in ihrer Heimat. Wenn ich wegen einer Schwarzwäldertorte nach Triberg fahre, dann bin ich willkommen, weil ich Geld aus der Schweiz bringe. Wenn ich unser Sozial- oder das Gesundheitssystem belaste, dann bin ich schnell ein Parasit, der lediglich von der Allgemeinheit profitieren will.
Komisch, nicht wahr? Ich bin doch der gleiche Mensch.
Ich schliesse daraus, dass wir alle Geber und Nehmer sind. Im Grunde wollen wir alle dasselbe – ein glückliches Leben führen und zur Freude von anderen geben und nehmen.
Mir fehlt manchmal ein bisschen die Menschlichkeit in Eurer Politik. Wenn wir immer nur in Feindbildern denken, dann machen wir uns das Leben einfach selber schwer.
Ich glaube, dass wir uns vor allem für eine gerechte Ressourcenverteilung einsetzen sollten. Deswegen sind wir noch lange nicht alle gleich.
Die Linke und die Rechte ringen um die intelligentesten Lösungen, dabei wird meist nicht berücksichtigt, dass die eigenen Interessen in praktisch jedem Vorschlag die wesentliche Motivation sind. Alle für einen, einer für alle – diese Solidarität sollte für die ganze Menschheit gelten.
Ein Gripen ist kein “Must Have”, für mich nicht einmal ein “Nice To Have”. Die zunehmende Einkommensschere macht mir Sorge. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Gelder eher in die Sozial- oder in das Gesundheitssystem fliessen lassen sollten.
Nun bin ich einmal so frech und behaupte, dass Du sogar grösstenteils gleicher Meinung bist wie ich. Meine Position dürfte wohl noch etwas wirtschatsfreundlicher sein.
Wenn ich an Deine Auftritte mit Carsten Schloter in der Angelegenheit “Netzneutralität” denke, dann bin ich davon überzeugt, dass Deine Kompetenz bezüglich E-Voting in naher Zukunft wohl von keinem anderen Parlamentarier übertroffen wird.
Ich wünsche Dir eine Gute Session!
Lieber Urs
danke für die guten Wünsche zur turbulenten Session. Ja, den Schwerpunkt Ressourcengerechtigkeit, den teile ich. Auch einen Schwerpunkt Chancengerechtigkeit würde ich setzen. Ganz im liberalen Sinne: möglichst ähnliche Startbedingungen setzen – niemand kann was dafür, wo, in welche Familie, in welche Schicht etc. er oder sie geboren wurde. Danach aber auch ein – fairer – Wettbewerb.
Bezüglich E-Voting hoffe ich einfach, dass meine differenziert kritische Position mittelfristig auch so gewürdigt wird und nicht so wie eben in dieser Ueberschrift ;-)
Herzlich
Balthasar